1937
Sind die „Zionistischen Protokolle“ Schundliteratur?
In: Nation, Bern, Nr. 47 18.11.
Der Artikel 14 des bernischen Gesetzes über das Lichtspielwesen und Massnahmen gegen die Schundliteratur vom 10.September 1916 statuiert: „Verboten sind:
Die Drucklegung, der Verlag, die Feilhaltung, der Verkauf, die entgeltliche Ausleihe, die öffentliche Ausstellung und Anpreisung, sowie jedes andere Inverkehrbringen von Schundliteratur, insbesondere von Schriftwerken, deren Form und Inhalt geeignet sind, zur Begehung von Verbrechen anzureizen oder Anleitung zu geben, die Sittlichkeit zu gefährden, das Schamgefühl gröblich zu verletzen, eine verrohende Wirkung auszuüben oder sonst wie groben Anstoss zu erregen.
Das Verbot trifft Bücher, Schriften, Drucksachen, Lieder, Abbildungen, Plakate, Inserate und andere gedruckte oder bildliche Darstellungen.“
Man merke sich, dass der vorstehende Artikel sich ausdrücklich (insbesondere) auch gegen Schriftwerke wendet, deren Form und Inhalt geeignet sind, „zur Begehung von Verbrechen anzureizen“, „eine verrohende Wirkung auszuüben oder sonst wie groben Anstoss zu erregen“.
Laut Urteil der ersten Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 1. November 1937 ist jedoch besagter Artikel nur dann anwendbar, wenn er sich gegen pornographische Druckerzeugnisse richtet.
Wir haben uns mit diesem Urteil abzufinden, obwohl es nicht nur der überwiegend grossen Mehrzahl der Laien, sondern auch einer erklecklichen Zahl nicht eben unbedeutender Rechtsgelehrter und Rechtskundiger einfach unverständlich bleibt.
Die einzige einigermassen plausible Erklärung dazu dürfte jedoch darin zu finden sein,
1. dass weder der Herr stellvertretende Generalprokurator, noch die der I.Strafkammer angehörigen Herren Oberrichter die „Protokolle der Weisen von Zion“ überhaupt gelesen haben;
2. dass ihnen unbekannt geblieben ist, in welch hervorragendem Masse die besagten „Protokolle“, seit dem Tage ihrer Erstveröffentlichung an, zur Rechtfertigung der Judenmetzeleien und Pogrome in Russland, Polen und Deutschland verwendet wurden und immer noch verwendet werden.
Diese Tatsache ist so weltbekannt und unbestreitbar, dass man sich füglich fragen darf, woher es rührt, dass sie einzig und allein der bernischen I.Strafkammer nicht zur Kenntnis gelangte.
Die an den Experten im Berner Prozess um die „Protokolle der Weisen von Zion“ vom Richter gestellte fünfte Frage lautete:
„Fallen die `Protokolle’ in literarischer Hinsicht unter den Begriff der Schundliteratur ?“
Meine Antwort darauf bestand in einem überzeugten, entschiedenen „Ja“. Diese meine Antwort begründete ich folgendermassen:
„Es gibt verschiedene Arten der Schundliteratur, die sich nach der mehr oder weniger ausgesprochenen Harmlosigkeit oder Gefährlichkeit ihrer Erzeugnisse ungefähr feststellen lassen.
Die verhältnismässig harmloseste Schundliteratur ist der sogenannte literarische `Kitsch’. Darunter versteht man Druckerzeugnisse seichten Inhalts, aber gefälliger, leicht eingehender, den ungebildeten Leser bestechenden Form, ohne Tiefe, deren wesentlichstes Kennzeichen durchgehende Geschmacklosigkeit ist.
Schriftstellerisches und dichterisches Zuckerwasser also, das weder auf ernsthaften Studien, noch auf innerer Wahrheitsliebe, noch auf vertieften, ausdauernden und genauen Beobachtungen oder Überlegungen beruht, sondern durch rein äussere stilistische Kunstkniffe den unkritischen Leser fesselt und ihm deren Lektüre vor allem und ausschliesslich unterhaltsam gestaltet. Dazu gehören auch eine gewisse Art einseitig beschränkte Sittenlehre vermittelnder Schriften auf oft religiöser Grundlage, die sich das Anlegen eines literarisch kritischen Massstabes von vornherein, um ihrer seichten, wirklichkeitsfremden und gelegentlich urverlogenen Beschaffenheit willen, von selbst verbitten.
Eine etwas weniger harmlose Art Schundliteratur ist die spannung- und erregungerzeugende, das Vorstellungsvermögen und die Einbildungskraft namentlich der jugendlichen Leser überwältigende Romanliteratur, die zwar ebenso wohl mit grossem schriftstelleri-
schem Geschick, als mit rohen, grobsinnlichen Wirkungen arbeitet, und gelegentlich auf ihre Leser abwegig einwirken kann. Auch hier bleibt der oberste, einzig entscheidende Bewertungsmassstab im mehr oder weniger gebildeten Geschmack und in dem Masse der Empfäng-
lichkeit des einzelnen Lesers verankert. Aus diesem Grunde ist es oft nicht leicht, ja mitunter geradezu unmöglich, anders als vermittelst rein stilkritischer Untersuchungsweisen allgemein gültig festzustellen, ob ein bestimmtes Druckerzeugnis als Schundliteratur oder als Kunsterzeugnis zu werten sei. Dies gilt besonders, wenn es sich stofflich mit dem menschlichen Liebes-und Geschlechtsleben befasst.
Es gibt Schriften, die, ohne je einen derben Ausdruck, einen im landläufigen Sinne unanständigen Begriff zu vermitteln, dennoch die Einbildungskraft und das Vorstellungsvermögen ihrer, namentlich jugendlichen Leserschaft dermassen ausschliesslich in Anspruch nehmen, so dass deren Urtriebhaftigkeit in ununterbrochene Spannung versetzt wird. Dagegen gibt es umgekehrt Schriften, die auch das Urnatürlichste eingehend behandeln und beim Namen nennen, ohne dass ihnen darum der Vorwurf der Unsittlichkeit in irgendwelchem Sinne dieses Wortes gemacht werden könnte.
Als abschreckendes Beispiel jener lüsternen, aber äusserlich anständigen Literatur , prangerte seinerzeit Wilhelm Hauff den damaligen Lieblingsschriftsteller der deutschen Lesewelt, Clauren, an, indem er dessen Art in einem eigenen Roman, `Der Mann im Monde’ , übertreibend nachahmte und damit der Lächerlichkeit preisgab.
Die italienische Renaissanceliteratur bietet uns zwei Schulbeispiele erotischer Schrifttumserzeugnisse, die den Unterschied zwischen Künstlerischem, Zulässigem und Unkünstlerischem, rein Triebaufreizendem, Grobsinnlichem und Geschmacksverlassenem recht sinnenfällig gestalten. Der Decamerone Boccacios gilt, trotz seines zu einem grossen Teil erotischen Stoffgebietes, mit vollem Recht als ein klassisches Werk novellistischer Gestaltungskraft; die Sonnette des Aretino dagegen bleiben, trotz ihrer fein geschliffenen Form, im Banne des niedrigsten Schmutzes, der grobsinnlichen Triebaufreizung befangen und werden schon aus diesem Grunde nie die Billigung auch des in erotischen Dingen weitherzigsten, aber gesunden Menschen finden.
Es kommt hier, wie anderswo, viel weniger darauf an, was der Leser aus einem Buche heraus- , als in welcher Seelen- und Geistesverfassung er sich in das Buch hineinliest. `Wo ein Affe in einen Spiegel guckt, wird schwerlich ein Apostel herausschauen’ , bemerkt trefflich G. Ch. Lichtenberg.
Was Kunst und was Schund ist, darüber entscheidet also auf diesen Gebieten des Schrifttums nicht der Sittenlehrer, nicht der Richter, nicht der Gottesgelehrte, sondern einzig und allein der künstlerisch gebildete, literarische Geschmack, an Hand seiner ihn beherrschenden Stilgesetze, wie Carl Spitteler in seinen `Lachenden Wahrheiten’ in einer Abhandlung `Vom sittlichen Standpunkt der Kritik’ überzeugend, und wie mir scheinen will, in nicht zu widerlegender Weise nachweist.
Eine fernere, die schlimmste Art von Schundliteratur, aber besteht in verleumderischen, unterschiebenden Druckerzeugnissen, die, bewusst und gewollt, nicht nur um des möglichen Geldgewinnes wegen, sondern aus niedriger Gesinnung heraus, darauf ausgehen, sei es durch ihre Form, sei es durch ihren Inhalt, oder durch beide zusammen, ihre Leser zu verrohen, die Sittlichkeit und Rechtssicherheit zu erschüttern, gröbliches Ärgernis zu erregen und das Schamgefühl wie das Gewissen ihrer Leserschaft dermassen irrezuführen und zu betäuben, dass sie sich zur Begehung von eigentlichen rechtswidrigen Handlungen bereitwillig finden lässt. Diese Wirkung nun kann durch derartige Schriftwerke sowohl beim vereinzelten Leser, wie auch, was schlimmer, weil gemeingefährlich ist, bei einer ganzen Volksklasse von Lesern erstrebt und erreicht werden. Dadurch werden nicht nur die Grundlagen des menschlichen und gesellschaftlichen Anstandes weitgehend aufgelockert, sondern es wird unter Umständen, wenn auch vielfach unausgesprochen, zu rohgewaltigen, rechtsbrecherischen Tathandlungen angereizt, was im kleinen zu Einzelverbrechen, in grösserem Massstabe aber zu Aufständen, Pogromen, Bürger- und überländischen, übervölkischen Kriegen führen kann und schliesslich auch, wenn nicht rechtzeitig eingedämmt, führen muss, wie Vergangenheit und Gegenwart immer wieder aufs neue erhärten. Diese Schundliteratur nun untersteht eigentlich nur noch technisch und stilistisch der literarisch-künstlerischen Beurteilung, weil ihre Wirkungen nicht auf die Literatur beschränkt bleiben, sondern ins öffentliche Rechts- und Gesellschaftsleben unmittelbar übergreifen. Sie sind daher vor allem auch vom öffentlich rechtlichen, vom zivil- und strafgesetzlichen Standpunkt aus zu werten und zu beurteilen.
`Die Protokolle der Weisen von Zion’ nun gehören fraglos dieser letztgenannten, niedrigsten, gefährlichsten Art von Schundliteratur an. Ihre ganze Anlage, ihre Voraussetzungen in jeder Hinsicht, ihr Aufbau, ihre Beweisführung, ihre innere und äussere Form, wie ihr Stil, wirken zusammen, um die Juden und die Freimaurer als verächtlich, hassenswert, grundsätzlich gewissenlos, verbrecherisch, staats- und gesellschaftsgefährdend darzustellen.
Die grosse Mühe, die sich die Antisemiten aller Länder geben, diese `Protokolle’ in stets neuen, grossen Auflagen immer wieder in die Massen zu werfen, erweist ihre bewusste Absicht, den Zorn und die Empörung dieser Massen bis zu weithin reichenden Tathandlungen aufzupeitschen, was ihnen, wie bereits erwähnt, vielerorts bereits in einer Weise gelungen ist, die die Empörung der ganzen gesitteten Welt wachgerufen hat.
Dass es auch in unserm Lande, in der Schweiz, bereits zu vereinzelten Tathandlungen kam, die mittel- oder unmittelbar auf die Werbetätigkeit vermittelst der `Protokolle’ zurückzuführen sind, davon liefert uns der uns gegenwärtig beschäftigende Strafhandel lediglich einen neuen Beweis.“
Soweit mein Gutachten über diesen Punkt.
Immerhin: Die Wege des Herrn sind wunderbar – und … ich bin nicht Jurist !