1914
Sehr geehrter Leser!
(Vorwort zum Gedichtband „Zum Trutz“). 1.7.-
C .A.LOOSLI Bümpliz, den 1.Heumonat 1914
SEHR GEEHRTER LESER !
Es gibt eine unheilvolle Brüderschaft, die jede fröhliche Regung sauertöpfischen Gesichtes im Keime erstickt, die Masse der Humorlosen! Sie sind, namentlich bei uns, in der überwiegend grossen Mehrzahl. Sie nehmen sich fürchterlich ernst und vertragen weder ein offenes Wort noch einen Scherz, sind sesshaft und behäbig, wacker und geistig wenig regsam, haben nicht den mindesten Sinn für die Sonne des Humors und die Blitze des Geistes, welche beide sie in ihrer Ruhe stören und aus ihrer Behaglichkeit aufschrecken. Ist solches einmal geschehen, dann werden sie wild und roh, und Gnade Gott dem losen Vogel, der es wagte, ihnen ein spöttisch Liedlein zu pfeifen. Der wird gesteinigt und wenn’s möglich ist, wird ihm die letzte Feder ausgerupft. So empfänglich sie für Spott und Satire sind, so sehr sie die Wahrheit bejubeln, welche dem Nachbarn ins Gesicht geschleudert wird, so fuchsteufelswild und gehässig werden sie, wenn sie selbst Gegenstand fröhlicher Verulkung, jacher Wahrheitsblitze werden. Sie lachen herzlich auf der Bierbank über jeden Scherz, den etwa der „Simplizissimus“ am deutschen Kaiser oder am Serbenpeter verübt, aber sie boykottieren das Blatt, wenn es, alle zehn Jahre einmal, einen übrigens recht harmlosen Scherz an unser schweizerisches Milizsystem richtet, wenn auch dieser Witz durchaus den Stempel freundnachbarlicher Neckerei trägt. Der Fall ist dagewesen! Es liessen sich andere Fälle aufzählen, die mir näher gingen. Der souveräne Philister verträgt keinen Hofnarren! Und das ist schlimm für alle, die da durch Neigung und Temperament zum Hofnarren nun einmal von der Vorsehung bestimmt wurden. Mein Unheil wollte, dass ich zu diesem, in der Schweiz doppelt grausamen Los, verdammt wurde. Ich kann wahrhaftig nichts dafür und möchte ganz gerne brav sein und lieb und bieder, aber es gelingt mir nicht – ich hab es oft versucht – ich muss lachen und scherzen, verulken und bespötteln und manchmal auch mit meiner Narrenpritsche dreinhauen, dass es klatscht. Gewöhne einer der Katze das Mausen ab!
Allein, gelernt hab’ ich doch etwas! Ja, ja, ich bin recht klug und weise geworden. Die Feindschaft der Philister hat mich gelehrt, dass es ein müssiges Unterfangen ist, über sie die Sonne des Humors leuchten zu lassen, dass es gefährlich ist, ihnen den klaren Spiegel der Wahrheit vorzuhalten, dass sie solches Tun mit der schlimmsten Feindschaft lohnen, die in ihrem kleinlichen Hasse nie verzeiht, nichts anerkennt als ihren Hass.
Darum habe ich mich vom Philister abgewendet und wenn spassige Einfälle mich in wilden Wehen bedrängen, dann bringe ich sie nicht mehr auf offenem Markte zur Welt, sondern im Kreise derer, die daran Freude und Genuss empfinden. Und wenn mich mein Narrenspiegel allzuarg in der Hand juckt, dann leuchte ich nimmer mit seiner Wahrheit jedem ersten Besten ins Gesicht, sondern lasse ihn unvermittelt vor den Augen dessen spielen, von dem ich weiss oder voraus-
setzen darf, dass auch ein grelles Licht ihn nicht blendet, dass er, wenn vielleicht auch im ersten Augenblicke überrascht, sich doch bald darauf besinnt, dass Licht die Quelle jeglichen Lebens ist und dem Schalksnarren Dank weiss für seine Possen, deren ernster Wahrheitshintergrund ihm nie lange verborgen bleibt.
Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen , die übermütigsten Kinder meiner närrischen Muse nicht mehr zu Markte zu tragen. Letztes Jahr gab ich meine „SATIREN UND BURLESKEN“ unter Ausschluss der weiteren Öffentlichkeit als Privatdruck heraus. Ich bot sie nur Leuten von Geist und Kultur an und siehe, sie bereiteten Freude und verbreiteten Lust. Das sagten und schrieben mir recht viele ihrer Leser. Und die Philister blieben ungeschoren, brauchten sich nicht zu ärgern und nicht zu bellen. Betrachten mich gar als einen nun endlich still und brav gewordenen Biedermann, als ihresgleichen. Die Guten!
Diesen zum Trutz gelange ich heute an Sie, sehr geehrter Leser, und biete Ihnen einen neuen Strauss zum grossen Teil recht stachliger, zum kleineren Teil verträumter und wehmütig abgetönter Gewächse an, und diesmal sind es Verse. Ich habe sie
„ZUM TRUTZ“
betitelt und Sie wissen nun, wem zum Trutz. Der Band wird etwa hundert Gedichte umfassen. Die Auswahl meiner gereimten Erzeugnisse der letzten zehn Jahre. Einige davon sind vereinzelt in Zeitschriften bereits veröffentlicht worden. Es sind ihrer etwa ein Dutzend. Die grosse Mehrzahl aber habe ich bis jetzt in meinem Schreibtisch treu verwahrt, nicht weil ich sie nicht gerne geistesverwandten Menschen unterbreitet hätte, sondern weil ich ihre Zahl anwachsen lassen wollte um mir daraus eine harmonische Auswahl zu ermöglichen. Sie werden, sehr geehrter Leser, beurteilen können, inwieweit mir solches gelungen ist.
(…)
Indem ich Ihrer freundlichen Bestellung mit Vergnügen entgegensehe, begrüsse ich Sie, sehr geehrter Leser, mit dem Ausdruck meiner vollkommenen Hochachtung
C. A. Loosli