1943
Neutralität?
In: Aus Zeit und Leid. Zürich
Jetzt, wo uns fahles Grauen rieselt durchs Gebein,
Der kalte Angstschweiss perlt, in lähmendem Entsetzen
Der Ekel unsre Kehle würgt, wo unser Sein
Erschüttert ward, zermürbt durch stets erneute Hetzen;
Jetzt, wo der Greuel Fülle selber uns bedroht,
Wo wir um unser eigen köstlich Dasein bangen,
Wo an uns selber nun heranschleicht sich die Not,
Und mählich uns erfasst mit mitleidlosen Zangen;
Jetzt, wo’s uns schliesslich selber an den Kragen geht,
Entschliessen wir uns endlich, tapfer uns zu wehren,
Und umzuschauen uns, wo jeder von uns steht,
Und wer sich mög in letzter, ernster Stund bewähren!
Jetzt wird Kultur uns wertvoll, und Gesetz und Recht
Gedeihen wiederum zu lang verhöhnter Mode
Dem feig entarteten, kurzsichtigen Geschlecht; –
Nun zittert es und bangt vor ruhmlos grausem Tode!
Noch ists nicht lange her, da schlugen an das Ohr
Noch eure Beifallsrufe, wenn, gemein entrechtet,
Ein Volk sein Land, die Freiheit und sein Gut verlor
Und wenn es von Verbrechern ward geknechtet!
Noch ists nicht lange her, seit ihr ein status quo,
Wie er geschaffen ward von Räubern und von Mördern,
De jure anerkanntet, eilig, hämisch froh;
Wo der Verräter Schutz im eignen Land zu fördern
Ihr treu beflissen wart, – wo, höhnend die Moral,
Zuhälterdienste ihr der Diktatur geleistet!
Ja, heute noch nennt hündisch speichelnd ihr neutral
Euch, wenn ihr zensuriert, wer sich auch nur erdreistet,
Zu nennen schwarz den Russ, zu nennen rot das Blut,
Den Dieb, den Räuber schlecht, den Heuchler grundverlogen!
Wir stehen heute Grenzwacht gegen jene Brut,
Die ihr im eignen Lande uns habt grossgezogen!
Für uns, doch auch für euch erwahrt sich’s heut als Glück,
Dass euch des Volkes Mehrheit weder glaubt’ noch traute:
Denn, wärs nach euch gegangen, hätt ein schlimm Geschick
Auch uns genau erfasst, wie es schon andre klaute!
Es kommt, verhehlts euch nicht, es kommt dereinst die Zeit,
Die euch erfüllen wird mit Jammer und Entsetzen,
Wo zur Verdammung euch die schlimme Saat gedeiht,
Wo ihr gefangen zappelt in den eignen Netzen!
Es schlägt dereinst die Stunde, es bricht an der Tag,
Wo man neutrale Feige ausspeit aus dem Munde,
Wo das erwachte Volk euch grimmig, Schlag auf Schlag,
Vernichten endlich wird, auf dass es selbst gesunde!
O bleibt dann, wenn ihr könnt, o bleibt dann auch neutral,
Gesinnungsbar verschrieben dem Profitgeklüngel,
Wenn ihr erfährt, wie’s schmeckt, wenn alle Welt loyal,
Befriedigt, kühlen Sinns, euch gönnt verdiente Prügel!